Wie ich zum Sport kam

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Irgendwann Anfang der 1980er Jahre … Zufällig sehe ich im Fernsehen Ausschnitte der <Tour de France>. Ich habe keine Ahnung von dieser Sportart, doch das Geschehen zeigt eine erste Wirkung. Die Bilder dieses Radrennens, von den muskulösen Beinen der Fahrer mit ihren bunten Trikots, die grazilen Rennräder mit den blinkenden Speichen üben eine gewisse Faszination aus. Bis dato war Sport für mich kein besonderes Thema, bis auf den Schulsport und regelmäßiges (völlig talentfreies) Gekicke auf dem Pausenhof, hatte ich kein Bedürfnis mich diesbezüglich ernsthafter zu betätigen. Ich hatte auch keine Vorbilder, da in meiner (sehr großen) Familie quasi nie ein Sportler existierte. Ich bin allerdings schon gerne Rad gefahren. So musste ein paar Monate zuvor mein 3-Gang Alltagsrad (mit üblicher Rücktrittbremse) einem sportlicheren 10-Gang Rad weichen (Geburtstagsgeschenk), welches mit „Rennlenker“ und „Rennsattel“ ausgestattet war.

Ein Klassenkamerad hatte an seinem Rad Schutzbleche, Beleuchtung, Gepäckträger und sonstigen Kram abmontiert, sodass es (theoretisch) nach richtigem Rennrad aussah. Ich fand dies unheimlich cool und tat es ihm gleich (was in meinem näheren Umfeld nur verständnisloses Kopfschütteln auslöste). Ich fing dann auch an, nur so aus Spaß, regelmäßig mit dem „Rennrad“ zu fahren. Und damit ich auch nach Radsportler aussah, habe ich mich pseudomäßig so gekleidet. D. h.: Richtige Radsportkleidung besaß ich nicht, somit musste Kleidung herhalten, welche (in meinen naiven Augen) zumindest dem Beobachter so etwas suggerierte. Da zur damaligen Zeit schwarze Radsportschuhe quasi Standard waren, wählte ich die berühmten Adidas „Samba“ als alternative Pedaltreter. Eine übliche schwarze Radsporthose simulierte ich mit einer schwarzen, kurzen Fußballhose (und die waren damals sehr kurz ;-). Weiße Socken und einfaches T-Shirt komplettierten mein pseudoprofessionelles Outfit. Ziemlich peinlich, aus heutiger Sicht, aber hey, ich war erst 16 Jahre alt.

Zwei Erlebnisse aus meinem ersten „sportlichen“ Jahr sind in meinem Kopf hängen geblieben:

1. Ich war sowas von unheimlich stolz, als mein (mechanischer – ja, so war das früher) Kilometermesser das erste Mal 40 km anzeigte. Boa, Klasse, ich war satte 40 km am Stück gefahren. Toll!

2. Ich Möchtegern-Radsportler rase (ich bildete mir zumindest ein schnell zu fahren) mit viel zu großem Gang und „Puls 200“ auf einen „Berg“ zu (Anstieg in einer Ortschaft. Ein Mittelgebirge habe ich als Radfahrer bis dato noch nie gesehen), als ein richtiger Amateur-Rennfahrer sich kurz neben mich gesellt und ruhig atmend fragt: „Hey, kannst Du mir sagen, wo es nach Niederaußem geht?“ „Hier den Berg hoch und weiter die Straße entlang“ keuchte ich. Er trat kurz an und flog förmlich locker den Anstieg hoch. Und ich sah sowas von alt aus …

Richtig angefixt wurde ich durch ein erstes live erlebtes Radrennen in unserem Ort. Das Hauptrennen wurde dominiert durch einen deutschen Rennfahrer und Mitglied der Nationalmannschaft namens Werner (genannt „Kiko“) Stauff von der RSG Hercules Nürnberg (einer der damaligen drei deutschen Top-Teams im Amateur-Bereich). Er kam frisch und braun gebrannt aus dem Trainingslager und siegte souverän. Und dann die vielen anderen Rennfahrer, durchtrainiert und mit nicht fassbarer Geschwindigkeit die ca. 80 km auf einem knapp 2 km langen Rundkurs abspulend. Und überall die tollen Rennräder und der nicht aufhörende Geruch von „Sixtus“, mit dem die Fahrer ihre Beine einölten. Dies war ein Schlüsselerlebnis und ich hätte damals noch nicht gedacht, mit welcher Leidenschaft ich zukünftig den Radsport betrieb und dass generell der Ausdauersport forthin ein bedeutender Teil meines Lebens sein wird.

Nun musste ein richtiges Rennrad her. Da ich inzwischen eine (handwerkliche) Ausbildung begann, welche mir bescheidene finanzielle Ressourcen brachten, wurde das Konto überzogen und ca. 800,- DM (Deutsche Mark) zusammengekratzt, um diese in das neue Sportgerät zu investieren. Ein „Kettler-Alu-Rad“ sollte es sein, werbetechnisch angepriesen weil nur leichte 10 kg schwer. Demgemäß suchte ich einen kleinen Fahrradladen in einem Einkaufszentrum auf, wo dieses Rad vorhanden sein sollte. Leider war die Rahmenhöhe nicht passend und der Verkäufer überzeugte mich, dass ein Stahlrahmen auch o.k. sei und ein Rennrad nicht automatisch schwerer macht. Er zeigte mir ein Rennrad der Marke <Bianchi>, welches mich in der berühmten Farbe „Celeste Bianchi“ anstrahlte. Für Nicht-Radsportler: Die Firma Bianchi ist eine alte, traditionelle italienische Edelschmiede für Rennrad-Rahmen, mit deren Rädern legendäre Radrennfahrer unterwegs waren und der außergewöhnliche Grünton „Celeste Bianchi“ ist das Markenzeichen dieser Firma.

In dieses Rennrad hatte ich mich sofort verliebt. Es war eigentlich auch nur ein billiges Rad, mit minderwertiger Ausstattung – aber egal. Es war mein erstes wirkliches Rennrad und mein erster treuer Begleiter. Voller Stolz schob ich dieses Rad durch die Fußgänger-Passage des Einkaufszentrums, im Glauben, dass da jetzt bestimmt viele Leute staunend hingucken würden. Die erste Woche nach dem Kauf bin ich manchmal sogar nachts aufgestanden und in den Keller gegangen, nur um mir fasziniert dieses Rennrad zu betrachten.

So fern es Wetter und Zeit zuließen, bin ich nun fast jeden Tag damit gefahren. Nach der Arbeit noch, solange es hell war und am Wochenende, bis ich müde und kaputt war. Jeder Regentag war ein verlorener Tag, denn ich wollte fahren, fahren, fahren. Und ich hegte und pflegte mein Rennrad wie nichts anderes (Staub auf meinen Möbeln: scheiß egal; Ein dreckiges Rennrad: ein absolutes "no go"). Zu diesem Zeitpunkt habe ich auch das erste Mal Bekanntschaft mit dem Schlimmsten gemacht, was einem Ausdauersportler passieren kann: Er kann (oder darf) nicht trainieren. Als ein Riss in der Kurbel auftrat, musste dieses reklamiert werden und es dauerte endlose sechs Wochen, bis ich die neue bekam. Sechs Wochen kein Rennrad fahren! Die Hölle! Eine Welt brach förmlich (vorübergehend) zusammen. Wo war der Psychiater? ;-)