Auf der Suche nach dem richtigen Laufstil

< Zurück

Vorfuß im unebenen Gelände

Der Fuß hat im Bereich der Zehen eine vergleichbare Tastempfindlichkeit wie die Finger der Hände. Auch wenn diese beim Zivilisationsmenschen verkümmert ist, ist eine solche noch vorhanden. Die Reize, welche die Füße beim Bodenkontakt bekommen, sind entscheidend welche Signale die Nerven bzw. das Gehirn bekommen, um entsprechend koordinativ zu reagieren. Je schneller diese Information über Bodenbeschaffenheit (weich, hart, uneben usw.) das Gehirn erreichen, desto schneller kann die Muskulatur reagieren. Nicht nur, dass ein Schuh die Tastsinne des Fußes in ihrer Funktion stark einschränkt, ein Aufsetzen über die Ferse, welche keine nennenswerten Tastsinne besitzt und bei der dann noch eine dicke Fersendämpfung des Laufschuhs hinzu kommt, erhält der Körper beim ersten Aufsetzen des Fußes erst mal so gut wie keine Informationen über die Bodenbeschaffenheit. Außerdem ist die Auflagefläche beim ersten Aufsetzen nur sehr gering und diese Phase des Laufens potenziell instabiler und damit problematischer gegenüber Stürzen. Dies gilt insbesondere für recht rutschigen Bodenbelag (nasse Blätter, Geröll / Kies, vereister Schnee, Matsch …). Allerdings kann es dabei auch Ausnahmen geben.

Schneller durch Vorfußlaufen?

Bei einem ökonomischen (und schnellen) Laufstil setzt der Fuß im Bereich bzw. nur kurz vor dem Körperschwerpunkt auf (kurz vor dem Oberkörper). Dies ist aber nur möglich, wenn der Fuß dabei relativ flach auftritt, sodass der Unterschenkel dabei etwa in der Senkrechten steht. Wie bereits beschrieben ist dies beim sehr deutlichen Fersenlauf mit „Stechschritt“ und fast gestrecktem Knie nicht möglich. Der Fuß setzt hierbei zu weit vor dem Körperschwerpunkt auf und das fast gestreckte Bein steht und die einwirkenden Kräfte wirken gegen die Laufrichtung – was dazu führt, dass sich solch ein Fersenläufer bei jedem Schritt abbremst. Weiterhin hat dieser Läufer einen längeren Bodenkontakt, was im Widerspruch zum ökonomisch günstigen und schnellen Vortrieb steht. Der Läufer, welcher recht flach auftritt, bremst sich nicht aus und hat nur einen kurzen Bodenkontakt, der sofort wieder in Vortrieb umgesetzt wird. Deshalb sieht man nicht nur bei den Sprintern, sondern auch bei den Mittel- und Langstrecklern im Leistungssport praktisch keinen Fersenläufer (im Marathon sieht es etwas anders aus, aber da wird später noch drauf eingegangen). Wäre Fersenlaufen klar der sinnvollere Laufstil, so wäre er dort auch vorzufinden. Jedem, der mit einer Laufdisziplin auf der Bahn beginnt, wird beigebracht, über den Mittel- / Vorfuß zu laufen, beim Straßenläufer wird dies meist unterlassen. Dies ohne eindeutige Begründung, denn auf der Bahn gelten grundsätzlich keine anderen biomechanischen Gesetze wie auf der Straße.

Meine Wenigkeit ist erst etwa im Jahr 2000 zum Vorfußlaufen gekommen. Eine entzündete kleine Ader am Großzehengelenk, welche höchst empfindlich auf Berührung reagierte, zwang mich zu einem Auftreten über dem Mittelfuß, da dadurch der Schuh keinen Druck auf die Stelle ausübte. Die Beanspruchung für die Wadenmuskeln war spürbar höher – aber das Laufgefühl war dennoch sofort (positiv!) anders. Ich hatte das Gefühl wesentlich geschmeidiger zu laufen und einen besseren Abdruck zu haben. Die Stöße auf den Körper waren geringer und es fühlte sich „runder“ an. Ich bin dabei geblieben und möchte nie wieder zum reinen Fersenlauf konvertieren, welcher über zwei Jahrzehnte bei mir Standard war. Allerdings variiere ich auch hin und wieder und bei langen Distanzen wähle ich auch immer ein paar kurze Abschnitte zum Fersenlaufen, einfach, um belastungstechnisch meinen Beinapparat nicht zu einseitig zu beanspruchen. Aber ich fühle mich dann dabei immer etwas als würde ich „trampeln“.

Warum laufen die Meisten über die Ferse?

...Weil der Zivilisationsmensch kaum noch barfuß geht, geschweige denn läuft. Er trägt überwiegend Schuhe, was die Natur nicht vorgesehen hat, geht fast nur auf ebenen Untergrund und hat dadurch deutlich an Gefühl für ein natürliches Gehen / Laufen verloren. Weiterhin hat es sich bei der Schuhkonstruktion seit Jahrhunderten so einphilosophiert, dass Schuhe eine deutliche Erhöhung im Fersenbereich haben – was völlig widernatürlich der menschlichen Anatomie ist. Hierbei wird einem ja geradezu ein noch verstärktes Fersengehen aufgezwungen. Dies gilt auch für die meisten Laufschuhe, welche alleine dadurch schon fehlkonstruiert sind. Gerade auch die Laufschuhindustrie suggeriert durch ihre High-Tec-Dämpfungen schnell, dass ein Fersenlaufen „normal“ und „richtig“ sei und so manche Literatur und These von Experten propagiert nur einseitig und pauschal „richtig Abrollen über die Ferse“, ohne diese Thematik aus verschiedenen Blickwinkeln zu beleuchten. So nützlich Schuhe auch grundsätzlich sind, das was der Mensch dabei meistens konstruiert, richtet sich mehr nach Kultur und Optik, statt nach Funktionalität. Der Schuh hat in vielerlei Hinsicht mehr Schaden angerichtet als Vorteile gebracht.

Aber …
So sehr die Nachteile des Fersenlaufens auch zu sein scheinen, so muss man aber bedenken, dass ein (oft über Jahre gewohnter) Fersenlauf sich nicht so einfach umstellen lässt. Es bedarf hier ggf. einer sehr langen Zeit (bei mirz.B. mehr als ein Jahr) bis sich die Wadenmuskulatur bzw. der entsprechende Bewegungsapparat auf die neue Belastung eingestellt hat und es besteht immer die Gefahr, dass sich dadurch orthopädische Probleme auftun, selbst bei scheinbar behutsamer Umstellung. Hinzu kommt, dass gerade in den unteren Leistungsklassen des Fitness- und Breitensports der oft der Wille, Geduld und das Körpergefühl fehlen, sich an einer ganz anderen Lauftechnik zu orientieren. Weiterhin lassen körperlich ungünstige Voraussetzungen (wie ein hohes Körpergewicht) eh nur begrenzt einen ökonomischen Laufstil zu. Eine eher schlanke Statur lässt sich bei der Langzeitausdauer nun mal geschmeidiger bewegen, als eine eher schwerfällige und träge Masse. Auch die chronisch schwache Muskulatur des modernen Zivilisationsmenschen (in dem Fall die Beinmuskulatur) kann beim Vorfüßer schnell völlig überfordert sein.

Und auch Fersenlaufen ist ja nicht pauschal falsch! Und wenn der bisherige Laufstil nicht zu Problemen führte, dann dürfte keine sinnige Notwendigkeit bestehen, eine gravierende Umstellung vorzunehmen. Und selbst Afrikaner laufen im Wettkampf (mit Schuhen ggf. Ferse! Lange Distanzen, auf hartem Boden – und hohem Tempo (wie beim klassischen Stadt-Marathon) führen bei den meisten Läufern zu Wadenproblemen, da die Belastung für diesen Muskelbereich sehr hoch ist. Deshalb sind dort die meisten Läufer Fersenläufer. Auch so mancher Ex-Vorfußläufer hat bewusst seinen Laufstil diesbezüglich geändert, nachdem er auf die Marathondistanz gewechselt hat. Allerdings wird dann dabei auch nur sehr flach mit der Ferse aufgesetzt – also schon fast oder eben leicht Mittelfuß. Dies funktioniert aber auch nur mithilfe eines entsprechend gedämpften Laufschuhs! Diese Paradoxie sollte man nicht ignorieren. Deshalb pauschal Fersenlaufen auf langen Distanzen als „richtiger“ ansehen ist auch nicht korrekt, ohne das Lauftempo und den Bodenbelag zu berücksichtigen. Wer als Vorfußläufer einen Stadt-Marathon in Richtung 3 Stunden (oder eben schneller) läuft, wird mit großer Wahrscheinlichkeit Probleme mit den Waden bekommen. In Richtung 3,5 Stunden (und langsamer) kann dies schon wieder ganz anders aussehen. Und im Ultralauf-Bereich kann selbst bei einer Länge im 3-stelligen Kilometer-Bereich Vorfußlaufen kein Problem darstellen, wenn (bzw. weil) entsprechend langsam gelaufen wird. Beim Ultra-Trail-Lauf kommt noch ein teils weicherer Bodenbelag hinzu und immer wieder Phasen des Gehens, bei denen sich dich Waden wieder erholen können.

Es wird schon mal gerne erwähnt, dass auch in Afrika & Co., dort wo die Menschen noch mehr oder weniger unter natürlichen Lebensbedingungen leben und oft barfuß unterwegs sind, das Aufsetzen beim Laufen über die Ferse zu beobachten ist. Jedoch ist fraglich, ob dies von diesen chronisch gemacht wird und auf welchen Untergrund. Ich möchte einen laufenden Menschen sehen, der barfuß oder nur auf dünnen Sohlen über die Ferse über Stock und Stein läuft! Über einen Trail, gespickt mit Felsen, Steinen, Schotter und Wurzeln – und dies wohlmöglich noch bergab. Und dies mit der Ferse aufknallend. Niemals! Das macht kein Mensch. Chronisches Fersenlaufen wurde dem Menschen erst durch fehlkonstruierte Schuhe anerzogen und ist unphysiologisch! Und es ist total widersinnig, dass ein Laufschuh Fehlstellungen wegkorrigieren soll, die durch den Schuh ja erst entstehen – was bei der leidigen Überpronation gegeben ist.

Vorfußlaufen ist eine physiologische Normalität und absolut richtig! Teilweise Fersenlaufen ist auch nicht falsch! Ein guter Läufer beherrscht beides und wägt ab, wo er welche Technik einsetzt. Ein (ambitionierter) „chronischer“ Fersenläufer sollte durchaus auch regelmäßig ein gewisses Maß an Vorfußtechnik einsetzen, barfuß oder mit minimalistischen Schuhen – um die Fußmuskulatur zu kräftigen.

Siehe hierzu auch: Laufschuhe - Wie viel Dämpfung braucht man? und: Ist der Mensch nicht zum Laufen geeignet?