Mythos Nordic-Walking ist effektiver als Walking

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Über die Tempobremse Gehstöcke ...

Vorab: Jeder soll die Sportart ausüben, welche ihm Spaß macht, weder mir noch jemand anderen steht es zu, dies zu kritisieren oder es einem auszureden zu versuchen. Ich möchte hier nur auch mit einem Mythos befassen, welcher immer noch hartnäckig verbreitet ist.

Von den Menschen, welche damit Geld verdienen, wird gerne die These verbreitet, dass Nordic-Walking ein effektiveres Ausdauertraining wäre als Walken (ohne Stöcke). Begründet wird dies mit dem höheren Oberkörpereinsatz, welche dann das Herz-Kreislauf-System mehr fordert. Dieses Argument sticht grundsätzlich erst mal – ist aber bei näherer Betrachtung eine Milchmädchenrechnung.

Um die Stöcke physiologisch gewinnbringend einzusetzen, bedarf es einer entsprechend hohen respektive weitreichenden Bewegungsamplitude in Form einer ausladenden Armbewegung. Da Arme und Beine eine synchrone Bewegung vollziehen müssen, muss demgemäß auch eine große Schrittlänge gewählt werden. Solch ein Bewegungsablauf entspricht der Philosophie des Nordic-Walkens und wird in Kursen auch so vermittelt.

Eine große Schrittlänge geht aber immer auf Kosten einer hohen Schrittfrequenz. Aber erst eine deutliche Erhöhung der Bewegungsfrequenz ermöglicht eine Steigerung des Tempos – aus der entscheidend die Herz-Kreislauf-Beanspruchung resultiert. Und genau dort liegt der Knackpunkt! Durch die Stöcke limitiert sich der Nordic-Walker maßgeblich im Bereich seiner möglichen Gehgeschwindigkeit. Nun wird der pfiffige Nordic-Walker sofort einwenden, dass es beim Nordic-Walken eben nicht um Geschwindigkeit gehe, sondern gerade um die Armarbeit. Dies ändert aber nichts an der physikalisch / physiologischen Gesetzmäßigkeit, dass die Stärke, mit der die Stöcke eingesetzt werden können, bestimmend von der Geschwindigkeit abhängt, mit welcher man sich fortbewegt. Je höher das Tempo, desto höher der Abdruck – das ist Fakt. Also muss auch ein Nordic-Walker ausreichend schnell unterwegs sein, sonst bringen ihm die Stöcke gar nichts (da nützt auch die größte Armamplitude wenig).

Die Stöcke wirken deshalb Tempo limitierend, da irgendwann diese nicht mehr schnell genug bewegt werden können – der Nordic-Walker würde über seine eigenen Stöcke stolpern. Selbst wenn er die Schrittlänge zugunsten einer höheren Schrittfrequenz verringern täte – die Arme können den Beinen nicht mehr folgen. Sinnbild dafür sind Wettkämpfe für Walker und Nordic-Walker. Vorneweg sind immer die Walker. Nordic-Walker, welche ganz vorne mitgehen, setzten ihre Stöcke quasi gar nicht mehr ein – weil es sonst unmöglich ist, den gut trainierten Power-Walkern zu folgen, ohne dass ihm die Stöcke fliegen gehen.

Dadurch ist mitnichten Nordic-Walking pauschal das bessere Herz-Kreislauf-Training – sondern das Walking ohne Stöcke, denn Letzteres lässt höhere Tempi zu.

Leider ist es dann auch so, dass bei ca. 90 % der Nordic-Walker die Stöcke nur eine vollkommen sinnentleerte und lächerlich aussehende Armverlängerung mit Nichtfunktion darstellen, da diese quasi gar nicht eingesetzt werden (ich mag schon gar nicht mehr hinsehen; es sieht so peinlich aus, da muss man sich schon fremdschämen. Sorry, das konnte ich mir jetzt nicht verkneifen ;-)*. Dann kommt noch hinzu, dass die meisten eh viel zu langsam unterwegs sind, quasi nicht schneller als ein üblicher Fußgänger, sodass selbst ein theoretisch korrekter Stockeinsatz quasi wirkungslos ist. Aber dies ist auch ein chronisches Problem der Ohne-Stöckchen-Walker und jetzt wieder ein anderes Thema.

Wer also gehenderweise sein Herz-Kreislauf-System trainieren möchte, sollte sich gut überlegen, ob er zu Stöcken greift oder nicht. Als Trainer kann ich Nordic-Walkern über Trainingspläne nur begrenzt zu einer deutlichen Verbesserung ihrer Fitness verhelfen, da sie z. B. bei einem Intervalltraining die Tempovorgaben nicht einhalten können. Ihre Stöcke sind im Weg!


(* Dies gilt natürlich nicht für Menschen, welche krankheits- oder altersbedingt die Stöcke als eine gewisse Gehhilfe nutzen!)