Ist der Mensch nicht zum Laufen geeignet?

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Die Laufsportbewegung ist so groß wie nie. Abermillionen Menschen in unserer modernen Zivilisationsgesellschaft verschaffen sich „künstlich“ Bewegung respektive körperliche Belastung durch Dauerläufe. Viele von ihnen betreiben dies gezielt und systematisch, um ihr diesbezügliches Leistungsvermögen stetig zu verbessern. Parallel dazu hat die Anzahl der Läufer, welche orthopädische Probleme dadurch bekommen, immens zugenommen. Angeblich soll in der Regel jeder Läufer, welcher mehr als 30 Kilometer die Woche läuft, früher oder später, mehr oder weniger nennenswerte orthopädische Probleme bekommen. Dies hat zur Folge, dass regelmäßiges Laufen von etlichen „Experten“ infrage gestellt wird ja sogar behauptet wird, dass der Mensch gar nicht zum Laufen geeignet bzw. wäre. Nicht selten hört man dies auch von Orthopäden. Gerade Letzteres erscheint eine äußerst seltsame These zu sein, wenn man sich seine etwa 200.000 Jahre lange Geschichte und sein natürliches Lebensverhalten anschaut. Denn leider wusste der Mensch gar nicht, dass er ja kein Läufer ist und hat es einfach getan. Er ist kurz und schnell gelaufen – und auch langsam und lange. Teils sehr lange.

Seit dem der Mensch auf unserem Planeten wandelt, ist er Fußgänger – und Läufer. Schon immer hat er im Dauerlauf lange Strecken und viele Kilometer am Stück laufend zurückgelegt. Dauerläufe gehören zu seiner natürlichen Fortbewegung genau so dazu wie Gehen und kurze, schnelle Sprints. Ohne die Fähigkeit des langen Dauerlaufs hätte er nie überlebt. Noch bevor der Mensch Fernkampfwaffen gebaut hat, hat er Tiere, welche zu schnell waren für ihn, zu Tode gehetzt. Tiere, welche unter Belastung keine ausreichende Thermoregulation hatten (weil sie nicht schwitzen konnten), sind durch die ständige Verfolgung des ihn jagenden (dauerlaufenden!) Menschen quasi an Überhitzung zusammengebrochen bzw. waren irgendwann (ggf. nach Stunden) nicht mehr in der Lage, wegzulaufen. Sie waren unfähig sich zu wehren und konnten dann vom Menschen leicht getötet werden. Diese Art der Nahrungsbeschaffung wurde überall von Menschen auf der Erde praktiziert, unabhängig vom Kontinent, auf dem er lebte. Überall, wo der Mensch in weitreichenden, offenen Gebieten lebte, hat er lange Distanzen läuferisch zu Fuß zurückgelegt, auch aus kriegerischen Gründen, oder einfach weil er entsprechend schnell unterwegs sein wollte / musste. Solange es den Menschen gibt, solange läuft er auch. Dies hat er schon immer gemacht. Der Mensch ist von Natur aus (auch) ein Läufer. Er allerdings in der Natur eines laufenden Lebewesens ein Novum dar, denn er ist langsam. Deutlich langsamer als „Lauftiere“. Seine Besonderheit liegt aber in seiner enormen Ausdauer, welche in der Tierwelt nahezu einzigartig ist. Die Physiologie des Menschen ist dafür ausgelegt zwar langsam – aber enorm lange laufen zu können. Laufen – wohlgemerkt!

Die These, der Mensch sei von Natur aus nicht als Läufer konzipiert, ist also völliger Unsinn. Wieder ein typischer Versuch des Menschen, schlauer sein zu wollen als die Natur. Dies wäre als würde man behaupten, Vögel sollten nicht fliegen, da sie nicht dafür geeignet wären. Ob jedoch jeder „degenerierte Zivilisationskrüppel“ umfangreich laufen sollte, dies ist sicherlich diskutierbares Thema! Wer jahrzehntelang überwiegend sitzend sein Leben verbracht hat und von heute auf morgen mit einem umfangreichen Lauftraining beginnt, wird zwangsläufig früh mit Problemen Bekanntschaft machen. Was über viele Jahre versäumt wurde, kann dann nicht in kurzer Zeit kompensiert werden. Hinzu kommt dann auch, dass eine halbwegs natürliche Körperhaltung oftmals nicht gegeben ist. Zum einen, weil diese durch Inaktivität verloren ging und zum anderen, weil der Körper in vielerlei Hinsicht zu schwach geworden ist – vom Thema Übergewicht durch Adipositas ganz zu schweigen. So manch einer schleppt sich dann schlurftrampelnd, völlig ohne Körperspannung über den Asphalt. Gesund ist dies dann nur bedingt. Statt nur vorschnell die Kombination Laufen und Schmerzen als Ursache-Wirkungskette anzusehen, sollte man mal etwas tiefer schauen.

Der Leistungssportler hat in der Regel weniger Verletzungen und muss weniger pausieren als der Breitensportler – obwohl er den doppelt bis vierfachen Trainingsumfang absolviert. Wie ist das möglich? Zum einen hat er natürlich zwangsläufig eine leichtgewichtige Figur und einen effektiven Laufstil. Als Profi, der sich voll auf den Sport konzentrieren kann, macht er ein entsprechendes Ausgleichstraining und wird physiotherapeutisch begleitet. Der Breitensportler hat in der Regel einen Full-Time-Job und oft noch Familie. Er ist froh, wenn er 2 oder besser noch 4 x/Woche sein Lauftraining abspulen kann. Zusätzlich noch beispielsweise 2 – 3 Stunden Fitnessstudio & Co. wird dann problematisch. So ist dann oft die Einseitigkeit des Laufens gegeben, welche dann auf einen ansonsten eher inaktiven Sitzkörper trifft. Hierbei ist dann das Laufen eher ein Auslöser für Verletzungen aber die wirkliche Ursache liegt dann woanders.

Wir haben in Deutschland jedes Jahr Zigtausende Menschen, welche irgendeine Art von Prothese in den Beinapparat bekommen. Die wenigsten davon sind Läufer! Mit Abstand die meisten sind inaktive, adipöse Menschen! In meiner über 20-jährigen Zeit als Trainer habe ich sehr viele orthopädisch kaputte Leute kennengelernt. Die wenigsten davon sind Läufer! Mit Abstand die meisten sind inaktive, adipöse Menschen! Und von denen, die durchaus viele Jahre sportlich sehr aktiv waren, sind die wenigsten Läufer! Die meisten sind Tennis- und Fußballspieler! Was der Läufer „seinem Körper antut“ ist geradezu ein Witz gegen diesen Vergleich. Desweiteren liegt ein weiteres bedeutendes Problem beim Thema Schuhe (im Allgemeinen) bzw. Laufschuhen (im Speziellen). Der menschliche Fuß ist dafür ausgelegt barfuß zu gehen respektive zu laufen – und zwar prinzipiell auf jedem Untergrund. Von relativ dünnen und sehr flexiblen Schuhsohlen (als Schutz) abgesehen, sind Schuhe unphysiologisch, machen die Füße kaputt und schwächen massiv die Fußmuskulatur. Und gerade sehr viele der sich auf dem Markt befindlichen Laufschuhe schaden mehr als sie nützen. Viele orthopädische Probleme entstehen erst durch Laufschuhe. Die ach so tollen High-Tec-Laufschuhe, welche eigentlich genau dies verhindern wollen.

Laufen und orthopädische Probleme müssen also tiefgehender betrachtet werden als einfach nur das Laufen selber als Ursache zu sehen und dann ebenso einfach als „schädlich“ bzw. negativ abzustempeln. Oder noch dümmer: Dauerlaufen als unnatürliche Fortbewegung des Menschen zu deklarieren. IM GEGENTEIL! Wohlmöglich ist der Laufsport die Sportart Nummer Eins, welche von den Menschen ausgeübt wird, weil sie entwas in uns weckt, was wir schon immer gemacht haben. Weil wir damit wieder etwas wiedergefunden haben, was in unseren Genen steckt und durch unsere Sesshaftigkeit und Zivilisation verlorengegangen ist.

Siehe auch: Geboren zum Laufen



"Wenn Ihr nicht glaubt, dass Ihr zum Laufen geboren seid, verleugnet Ihr nicht nur die Geschichte. Ihr verleugnet auch Euch selbst." - Prof. Dr. Dennis Bramble (Biologe)