Körpertypen und Ausdauersport
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3. Ein Ausdauersportler, der sehr schlank bzw. schmal gebaut ist, macht zu viel Sport.
„Kein Wunder, dass an Dich nichts ran kommt. So viel Sport, wie Du machst.“ Wie oft habe ich diesen Unsinn schon gehört. Die Mutter aller diesbezüglichen Vorurteile und Klischees. Wenn ich bedenke, dass ich heutzutage (unter anderem gerade durch den Sport) etliche Kilos mehr auf die Waage bringe, als bei meinem Lebensalter wo ich mit dem Sport begann und noch nie im meinem gut 30 Jahren Ausdauersport weniger gewogen habe als zu der Zeit, wo ich noch gar keinen Sport betrieben habe ...
Die Polemik aus dieser These ergibt sich daraus, dass „so viel“ (Sport) meist gar nicht definiert werden kann, da der Vorurteiler gar keine ausreichende Kenntnis über die sportliche Vorgehensweise hat (Umfang, Intensität usw.). Und hätte er genauere Zahlenwerte, so würde ihm das Fachwissen fehlen, solche Zahlen bewertend beurteilen zu können. Stattdessen wird wild spekuliert. Wunderbar ist dann die Zirkelschluss-Argumentation (und -Logik), dass ja „viel Sport“ gegeben sein muss, da man ja so dünn ist. Und dünn ist man ja (ist klar), weil man so viel Sport macht. Dazu kommt noch, dass Menschen, die sehr schlank sind und anfangen möchten mit Ausdauertraining, absurderweise gerne suggeriert wird, sie sollten dies nicht tun, da sie ja sonst „noch dünner“ würden. Dies führt dann z. B. bei Menschen, welche über Krafttraining Masse aufbauen wollen, ggf. dazu, dass sie gar kein Herz-Kreislauf-Training machen. Aus medizinischem Aspekt nicht zu befürworten. Typischer Grund dafür ist, dass Gewichtsreduktion mit Ausdauertraining in Verbindung gebracht wird, was auch ständig suggeriert wird.
Es wird dabei aber übersehen, nicht erkannt und nicht verstanden, dass Sport an sich in keiner Weise dafür verantwortlich ist, dass man (automatisch) Körpermasse verliert. Ansonsten wäre es ja auch für jeden Menschen auf Dauer lebensgefährlich Ausdauersport zu betreiben, da man ja immer weiter abnähme. Oder gibt es ein sinniges Argument, dass „dünne“ und „dicke“ Menschen dadurch abnehmen, „normale“ aber nicht? Dies wäre nicht logisch und ließe sich physiologisch auch nicht begründen.
Es gibt zwei Möglichkeiten Körpermasse zu verlieren.
A. Fettgewebe
Eine Fettzelle wird nur kleiner, wenn sie weniger Energie bekommt, als sie abgibt. Dies ist bei einer negativen Energiebilanz gegeben (also wenn man weniger Kalorien isst, als man verbraucht.) Ob man dabei Sport treibt oder nicht ist vollkommen irrelevant – davon weiß die Fettzelle nichts und es interessiert sie nicht. Dies ist also ausschließlich eine Sache der Energiebilanz und hat nichts mit Sport zu tun! Sport erhöht nur den Energieverbrauch und erleichtert damit die Zielsetzung Gewichtsreduktion erheblich. Solange man aber / also für eine ausgeglichene Energiebilanz sorgt, kann keine Masse verloren gehen – egal wie viel Sport man macht.
B. Muskelmasse
Muskelmasse kann verloren gehen, wenn zuvor durch eine bestimmte Reizsetzung (z. B. eine bestimmte Sportart) ein Wachstum des Selbigen stattgefunden hat und durch Fehlen des Reizes (kein Sport mehr oder der Wechsel zu einer anderen Sportart) sich dieser wieder zurückatrophiert. Er nimmt also wieder den alten Umfang an. Gutes Beispiel: Als Radsportler habe ich damals deutlich an Oberschenkelmuskulatur zugelegt. Als ich den Radsport drangegeben habe und rein aufs Laufen umstieg, hat sich meine Muskulatur dort wieder zurückgebildet, weil beim Laufen weniger Kraft gefragt ist. Ich habe diese Muskelmasse aber nicht verloren, weil ich laufe – sondern weil ich nicht mehr Rad fahre! Das Laufen (also die Ausübung von „Sport“) ist nicht dafür verantwortlich. Liefe ich nicht, so wären meine Oberschenkelmuskeln auch weniger geworden. Eine ganz natürliche Anpassung.
Muskelmasse kann auch verloren gehen, wenn die Energiezufuhr viel zu gering ist. Der Körper fängt dann an, aus Eiweiß Energie zu gewinnen und es wird Muskulatur abgebaut. Dies ist dann aber wieder eine Sache der Energiebilanz und hat nichts mit Sport zu tun.
Sport baut also keine Körpermasse ab und hemmt auch nicht eine Zunahme – sondern im Gegenteil – Sport kann ggf. erst Masse aufbauen. Ein Ski-Langläufer bekommt ein breiteres Kreuz, der Radrennfahrer voluminösere Oberschenkel usw. Vom Krafttraining ganz zu schweigen. Das man im Ausdauersport auch sehr schlanke Menschen vorfindet ist ein Resultat eines entsprechenden, genetisch bedingten Körpertyps und grundsätzlich nicht sportbedingt. Diese Typen stellen bei der breiten Masse der zig Millionen Ausdauersportlern eine Minderheit dar und sind in jeder Sportart zu finden – so wie auch bei zig Millionen Nichtsportlern. Dies hat nichts mit mangelnder Ernährung und auch nichts mit zu wenig Körperfett zu tun.
Doch diese klassischen (und noch anderen) Vorurteile wird man als Ausdauersport treibender Mensch mit sehr schlanker Figur leider nicht los. Und bei all den geistreichen Sprüchen, Kommentaren und Thesen denkt man so manches Mal:
„Himmel, lasse bitte Hirn regnen.“